Mitochondrien-Vererbung: Die letzten Geheimnisse unserer bakteriellen Herkunft
Die Lebensenergie für den menschlichen Organismus wird in winzig kleinen Kraftwerken produziert, von denen tausend und mehr in jeder einzelnen Zelle tätig sind: den Mitochondrien. Diese Wunderwerke der Evolution liefern uns die Universalwährung des Lebens, wie selbst Wissenschaftler das Molekül Adenosintriphosphat (ATP) fast schwärmerisch nennen, von dessen Energie wir alle abhängen. Die kleinen Kraftwerke, das sind ehemalige Bakterien, die im Laufe der Entwicklung vor Milliarden Jahren durch Symbiogenese in jene Eukaryotenzellen eingewandert sind, aus denen unser Organismus besteht. Wenn sie defekt sind, funktionieren auch unsere Zellen nicht mehr richtig und es entstehen Krankheiten.
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Mitochondrien-Vererbung: Wie uns Ex-Bakterien betreiben
Nichts verdeutlicht mehr, dass wir von noch immer teilautonomen Ex-Bakterien betrieben werden, als das Verhalten der Mitochondrien bei der Vererbung. Unsere Mitochondrien, die zu Billiarden in jedem menschlichen Organismus für die Energielieferung sorgen, haben eigene Gene, eine eigene DNA. Sie vererben eigene Krankheiten, die auch nicht den bekannten Mendelschen Gesetzen unterliegen, sondern ganz eigenen uralten Regeln. Krankheiten, die mit dem Erbgut unserer Mitochondrien übertragen werden, sind quasi unantastbar, unheilbar, ihnen kommen wir bis heute nicht bei. Es sind dies Parkinson, Alzheimer, Multiple Sklerose, krankhafter Muskelschwund, Krebs, Diabetes, Epilepsie und ähnliche Menschheitsgeiseln.
Mitochondrien-Vererbung: Die Spickzettel der Evolution
Unsere Mitochondrien arbeiten zwar Tag und Nacht in uns, damit unser Körperkonglomerat aus Billiarden Einzelteilen optimal funktioniert. Wir selbst kennen aber noch lange nicht alle Details der aus uraltem Bakterienerbe stammenden und durch Endosymbiose in unsere Eukaryotenzelle gelangten Mitochondrien. Im Herbst 2011 veröffentlichte z. B. die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) eine Meldung über die Vererbung der mitochondrialen DNA. Diese erfolgt interessanter Weise nur über die mütterliche Linie. Mitochondrien werden also ausschließlich von der Mutter an die nächste Generation weitergegeben.
Dem LMU-Biochemiker Professor Patrick Cramer, Leiter des Genzentrums der Hochschule, ist es gelungen, etwas darüber herauszufinden, wie dabei bestimmte Erbinformationen an die Nachkommen gelangen. Es ging um Gene, die dafür verantwortlich sind, Nährstoffe in die universelle Energiewährung der Zelle, das ATP, umzuwandeln und wie Mitochondrien diese Fähigkeiten vererben.
Zusammen mit Professor Dmitry Temiakov von der University of Medicine and Dentistry of New Jersey (USA) sei es ihm gelungen, „die Architektur dieser molekularen Kopiermaschine aufzuklären“, heißt es in der LMU-Erklärung. Die Wissenschaftler hätten entdeckt, „wie Gene in den Mitochondrien abgeschrieben werden“. Man habe gewissermaßen den „Spickzettel für zelluläre Kraftwerke“ gefunden. Diese Vorgänge seien bis dahin nur unzureichend bis gar nicht verstanden worden.
Mitochondrien-Vererbung: Die Mendelschen Gesetze gelten nicht
An der Besonderheit, dass im Erbgang nur die mütterliche Linie das mitochondriale Erbe weitergibt, versucht die medizinische Wissenschaft neuerdings, Ansatzmöglichkeiten zur Ausschaltung schwerer Erbkrankheiten zu finden. Bei dem Verfahren, das vor allem in Großbritannien bereits bei künstlichen Befruchtungen angewandt wurde, tragen insgesamt drei Eltern zur Geburt eines gesunden Kindes bei. Erbkranke Mitochondrien werden dabei vom Befruchtungsvorgang ausgeschlossen. Die Methode, vereinfacht dargestellt: Eizellen einer Mutter mit defekten Mitochondrien und die einer Spenderin mit gesunden Mitochondrien werden mit den Spermien eines Vaters künstlich befruchtet. Der befruchteten Zelle der Spenderin wird jedoch der Zellkern entnommen und damit alle genetischen Eigenschaften, die in der menschlichen DNA gespeichert sind. Es bleiben nur die Zellkraftwerke, die gesunden Mitochondrien in der Zellhülle zurück. In diese verbliebene Zellhülle mit den gesunden Mitochondrien werden dann die Zellkerne der noch nicht verschmolzenen Ei- und Samenzelle von Mutter und Vater übertragen. Das genetische Material der wirklichen Eltern wird also mit Mitochondrien einer gesunden Spenderin gekoppelt und dann der leiblichen Mutter eingepflanzt. Sie kann auf diese Weise ein gesundes Kind mit gesunden Mitochondrien zur Welt bringen.