„Chronisch Entzündliche Darmkrankheiten (CED) gehören in ärztliche Behandlung“
Man weiß nicht wodurch sie ausgelöst werden, sie sind bis heute unheilbar und damit so ziemlich die tückischsten Krankheiten, die einen Menschen heimsuchen können. Ihre Namen: Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Alles über Symptome, Verlauf und Behandlung von Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa lesen Sie in diesem Beitrag und im Interview mit dem Facharzt Dr. Bernd Bokemeyer.
Bauchschmerzen hat jeder von Zeit zu Zeit einmal. Auch schwerere Darmerkrankungen sind weit verbreitet. Insgesamt sei fast jeder zweite Bundesbürger im Laufe seines Lebens mehr oder minder einmal von einer Darmerkrankung betroffen. Meist würden diese Erkrankungen ausgelöst durch eine Essensunverträglichkeit, durch Bakterien oder Viren, teilt das Kompetenznetz Darmerkrankungen auf seiner Internetseite mit. Dabei träten zumeist Symptome in Form von Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und / oder Durchfall auf, die typischerweise nach ein bis zwei Wochen vorüber seien und keine Folgeerscheinungen hinterließen.
Anders sei es bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED), mit denen sich das Kompetenznetz Darmerkrankungen intensiv beschäftigt. Schwere, entzündliche Darmkrankheiten mit chronischem Verlauf (Colitis ulcerosa und Morbus Crohn) belasten demnach die Betroffenen ein Leben lang. Solche CED unterscheiden sich, den Ärzten und Wissenschaftlern des Kompetenznetzes zufolge, von den anderen Darmerkrankungen „durch wiederkehrende und teils anhaltende kontinuierliche Krankheitsschübe, die auch ohne einen äußeren Anlass beginnen können.“
Schon im Alter von 20 bis 30 Jahren können CED auftreten
Wie das Kompetenznetz anlässlich des im September und Oktober 2011 veranstalteten „Crohn & Colitis-Tags 2011“ mitteilte, erkranken in Deutschland jährlich mehr als 15.000 Menschen neu an Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Diese chronisch entzündlichen Darmerkrankungen verlaufen demnach sehr unterschiedlich: Während krampfartige Bauchschmerzen, häufige und mitunter blutige Durchfälle Patienten schnell zum Arzt führten, blieben milde Formen der CED oft unerkannt.
Die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sind nicht heilbar. Da sie meist bei jungen Menschen im Alter von 20 bis 30 Jahren zum ersten Mal auftreten, beeinflussen sie Lebensplanung, Berufsausübung und Entwicklungsmöglichkeiten der Betroffenen ganz erheblich. Je schlechter Betroffene versorgt werden, desto häufiger brechen die Krankheiten aus und desto weniger können die Erkrankten einer geregelten Beschäftigung nachgehen, teilt das Kompetenznetz mit. Was eine CED genau ist, welche Folgen diese Erkrankungen für Patienten haben wie sie mit ihrer Erkrankung umgehen sollten, ist Thema unseres Interviews mit Dr. Bernd Bokemeyer, dem Vorsitzenden des Kompetenznetzes Darmerkrankungen.
Was sind CED und wie geht man damit um? Medizin-Welt-Interview mit dem Vorsitzenden des „Kompetenznetz Darmerkrankungen“, Dr. Bernd Bokemeyer
Medizin-Welt: Was versteht man eigentlich unter den chronisch entzündlichen Darmkrankheiten Morbus Crohn und Colitis ulcerosa? Was genau ist das?
Bernd Bokemeyer: Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) unterscheiden sich von den anderen Darmerkrankungen durch wiederkehrende und teils anhaltende kontinuierliche Krankheitsschübe, die auch ohne einen äußeren Anlass beginnen können. Die beiden häufigsten chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sind der Morbus Crohn – eine nach dem Arzt B.B. Crohn benannte Krankheit - und die Colitis ulcerosa – eine geschwürige Dickdarmentzündung. Beide Krankheitsbilder werden erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts intensiver beobachtet. Die Zahl der Erkrankungen nimmt insbesondere beim Morbus Crohn kontinuierlich zu, vor allem in Nordeuropa sind immer mehr Menschen betroffen – in Deutschland derzeit ungefähr 320.000 Menschen – Männer und Frauen mit etwa gleicher Häufigkeit. Die Krankheiten brechen besonders häufig im Alter von 15 bis 35 Jahren aus. Heilbar sind die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen nicht, die Krankheitsschübe lassen sich jedoch mit medikamentöser Behandlung und einer Anpassung der Lebensgewohnheiten an Häufigkeit und Intensität reduzieren.
Sind die unheilbaren Chronisch Entzündlichen Darmerkrankungen schlimmer als Krebs?
MW: Die CED sind chronisch und nicht heilbar: Sind sie damit schlimmer als Krebserkrankungen?
Bokemeyer: Viele Krankheiten sind nicht heilbar. Dazu gehören Bluthochdruck, AIDS, Multiple Sklerose (MS), die Zuckerkrankheit Diabetes mellitus usw., deshalb sind sie nicht schlimmer als Krebserkrankungen.
MW:Aber viele Krebserkrankungen sind heute schon heilbar. Wie erklären Sie einem Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa, dass seine Krankheit unheilbar ist? Weshalb sind gerade die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen unheilbar? Und wenn die CED sowieso nicht heilbar sind, braucht dann der Betroffene auch nichts weiter zu tun?
Bokemeyer: Auch nicht alle Krebserkrankungen sind heilbar, sondern dies sind insbesondere die Fälle, die komplett chirurgisch noch in einem ausreichend frühen Stadium operativ entfernt werden können. Von CED betroffene Patientinnen und Patienten müssen sich in ärztliche Behandlung begeben, um ihre Krankheit durch eine umfängliche Betreuung und eine sinnvolle Therapie in eine stabile Remissionsphase zu überführen , so dass sie arbeitsfähig bleiben und ein nur möglichst wenig beeinträchtigtes Leben führen können.
Die Lebenserwartung ist durch chronisch entzündliche Darmkrankheiten im Allgemeinen nicht eingeschränkt
MW: Wenn Morbus Crohn und Colitis ulcerosa nicht heilbar sind, was bedeutet das für die Lebenserwartung der Patienten?
Bokemeyer: Die Lebenserwartung ist im Allgemeinen nicht eingeschränkt . Das hängt allerdings auch von der Schwere der Erkrankung ab und davon, wie stark oder weniger stark der Entzündungsprozess ausgeprägt ist und ob bei komplexen Verläufen Komplikationen hinzutreten können.
MW: Sind CED ansteckend?
Bokemeyer: Nein.
MW: Sind CED erblich?
Bokemeyer: Bisher ist nicht bekannt, wie die chronisch entzündlichen Darmkrankheiten genau entstehen. Fest steht, dass es Risikogene für Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gibt, das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass bei Menschen mit diesen Genen eine dieser Krankheiten auftritt, größer ist als bei Menschen, die diese so genannten Risikogene nicht haben. Aber: Wie bei allen anderen Krankheiten, bei denen die Gene auch eine Rolle spielen, gilt auch bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, dass ein betroffenes Elternteil nicht zwangsläufig diese Gene an ein Kind weitergibt. Ein Elternteil kann also betroffen sein, das Kind aber nicht.
MW: Sollte man in einer Beziehung, wie bei anderen gefährlichen Erkrankungen auch, den Partner davon informieren, wenn chronisch-entzündliche Darmerkrankungen in der Familie vorgekommen oder gehäuft aufgetreten sind?
Bokemeyer: Die Krankheiten sind nicht ansteckend und sie sind auch nicht lebensbedrohlich. Und selbst wenn eine genetische Veranlagung bestünde, hieße das nicht, dass die Krankheit auch ausbrechen oder an die Kinder übertragen werden müsste Wenn man selber nicht erkrankt ist, aber eine der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen in der Familie bereits auftrat, besteht also sicherlich keine direkte Veranlassung, den Partner zu informieren. Und wenn man selber erkrankt ist, lässt sich das nicht verheimlichen und der Partner ist darüber informiert. Für die Partnerschaft sollte dies aber sicherlich keine zu große Hürde sein.
Wie sich Morbus Chron und Colitis ulcerosa unterscheiden
MW: Und wie unterscheiden sich nun die beiden Krankheiten?
Bokemeyer: Bei beiden Erkrankungen können die Symptome ähnlich, teils aber auch unterschiedlich sein. Die Patientinnen und Patienten mit M. Crohn (MC) und Colitis ulcerosa (CU)leiden häufig unter Bauchschmerzen, CU-Patienten haben aber viel häufiger blutige Durchfälle. Fisteln oder Stenosen im Darmkanal treten viel häufiger bei MC-Patienten auf. Gewichtsverlust und Schwäche können hinzutreten. Darüber hinaus können Beschwerden auch außerhalb des Magen-Darm-Trakts auftreten, z.B. an den Gelenken und der Haut. Ob es sich dabei um Morbus Crohn oder eine Colitis ulcerosa handelt, kann der Arzt nach der Befragung und körperlichen Untersuchung über weiterführende technische Untersuchungen klären: Ultraschall, Spiegelung (Endoskopie) des Verdauungstrakts einschließlich neuerer Verfahren. Kernspintomographie oder Computertomographie können diese Untersuchungen ergänzen und insbesondere Aufschluss darüber geben, ob der Dünndarm (MRT –Sellink) betroffen ist und ferner, ob es zu Komplikationen außerhalb des Darmlumens gekommen ist. Danach lässt sich genau erkennen, ob es sich um Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa handelt. Der Morbus Crohn kann nämlich den gesamten Magen-Darm-Trakt vom Mund bis zum After befallen, ist aber am häufigsten im letzten Dünndarmabschnitt am Übergang zum Dickdarm lokalisiert, die Colitis ulcerosa ist hingegen auf den Dickdarm beschränkt.
Auch Gelenke können betroffen sein
MW: Sie sagten, auch Gelenke könnten betroffen sein – wie ist das zu verstehen, es geht doch um CED.
Bokemeyer: Gelenkbeschwerden, teilweise auch mit Rötungen und Schwellungen der Gelenke oder mit tiefen Rückenschmerzen im LWS-Bereich können entzündungsassoziiert mit der Grunderkrankung als extraintestinale Manifestation der CED auftreten. Andererseits können diese Gelenk- oder Rückenschmerzen aber auch nicht Schub-assoziiert auftreten und sind dann eher nach den rheumatologischen Therapieansätzen zu behandeln, die allerdings den Grundsätzen der CED-Therapie nicht unähnlich sind.
MW: Wie beeinflussen diese CED die Lebensqualität der Betroffenen?
Bokemeyer: Auch das hängt von der Schwere der Verläufe und deren Auswirkungen ab. Wer ständig mit heftigen Darmschmerzen und blutenden Darmsegmenten leben muss, hat sicher eine verminderte Lebensqualität. Diese kann sich in sozialen Einschränkungen zeigen oder aber auch in reaktiven Depressionen oder in sexuellen Beeinträchtigungen. Sehr wichtig ist deshalb eine gute ärztliche Betreuung, um diesen komplexen Beeinträchtigungen entsprechend begegnen zu können.
Was kann ein CED-Patient selbst gegen seine Krankheit unternehmen?
MW: Was genau passiert im Darm eines CED-Patienten und warum? Haben Darmbakterien damit etwas zu tun?
Bokemeyer: Bisher ging man davon aus, dass es sich bei den CED um Autoimmunerkrankungen handelt, bei der ein überaktives Immunsystem den Darm angreift. Neue Studien zeigen nun aber, dass es eher ein Versagen der angeborenen Abwehr gegen Darmbakterien ist, so dass diese Barrierestörung dann der Grund für die Unterhaltung der Entzündung sein könnte. Die chronische Entzündung ist dann als die Reaktion auf diese Abwehrschwäche, bzw. die Barierstörung zu verstehen. Also nicht das übereifrige Immunsystem ist allein schuld, welches das gesunde Gewebe als Feind betrachtet und bekämpft. Sondern neuere Studien zeigen, dass es sich um eine Schwäche der Darmabwehr gegen Bakterien handelt. Durch diese Abwehrschwäche an der Darmoberfläche dringen Bakterien in die Schleimhaut ein, wo sie nichts verloren haben. Und als Folge davon wird dann dort die chronische Entzündung unterhalten.
MW: Was kann ein CED-Patient selbst gegen seine Krankheit unternehmen?
Bokemeyer: Leider sehr wenig bis nichts. Weder helfen gezielte Diäten noch bestimmte Nahrungsmittel oder Essensgewohnheiten. CED-Patienten können alles essen was ihnen bekommt – es hat keinen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung. Was aber auf alle Fälle beim M. Crohn schadet und den Krankheitsverlauf negativ beeinflusst ist das Rauchen. Wer einen Crohn hat, sollte unbedingt damit aufhören. MW: Wo finden CED-Patienten am ehesten kompetente Hilfe?
Bokemeyer: Betroffene können sich an die Deutsche Morbus Crohn / Colitis ulcerosa Vereinigung – DCCV – e.V. wenden, dem Selbsthilfeverband für Menschen mit CED in Deutschland. Oder natürlich auch an das unser Kompetenznetz, das in seinem Netzauftritt auch ein regional aufgeschlüsseltes Ärzteverzeichnis veröffentlicht hat.
MW: Genügt nicht der Gang zum Hausarzt?
Bokemeyer: Der Besuch des Hausarztes ist immer der richtige erste Schritt. Beim Vorliegen einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung sollte aber auch immer ein in der CED erfahrener fachärztlicher Kollege zumindest mit zu Rate gezogen werden.
Wie werden CED behandelt?
MW: Gibt es Medikamente, um evtl. den Verlauf einer CED zu lindern?
Bokemeyer: Ja, die gibt es. In akuten Fällen muss allerdings nicht selten Cortison verabreicht werden. Cortison hat aber keinen Platz in der remissionserhaltenden Therapie. Hier kommen insbesondere z.B. bei der Colitis auch 5-ASA Präparate (Salofalk®, Pentasa®, Mezavant®, Claversal®) oder eben eher beim M. Crohn immunsuppressive Medikamente (z.B. Azathioprin) oder auch Anti-TNF alpha Ak (Remicade®, Humira®) zur Anwendung. Damit gelingt es in den meisten Fällen in einem abgestuften Konzept die CED-Patienten in eine langfristigere Ruhephase zu bringen.
MW: Kann auch ein operativer Eingriff das Mittel der Wahl sein?
Bokemeyer: Bei allen Diskussionen zur Therapieplanung muss auch immer ein Chirurg mit in die Diskussion mit einbezogen werden, da nur so sinnvoll gemeinsam vom Gastroenterologen und Chirurgen ein Konzept erstellt werden kann. Gerade auch beim M. Crohn, häufiger als bei der Colitis ulcerosa, ist ein operatives Vorgehen immer mit zu diskutieren.
MW: Sie haben das Kompetenznetz Darmerkrankungen mit aufgebaut – was ist dessen Ziel?
Bokemeyer: Das Kompetenznetz Darmerkrankungen ist ein Verbund von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, Fachkliniken, universitären Instituten und der Wirtschaft. Gemeinsam konzentrieren wir uns darauf, das Wissen um die Krankheiten bekannter zu machen, die Wege von Forschungserkenntnissen zu den Patientinnen und Patienten zu verkürzen und die Versorgung der Patientinnen und Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zu verbessern.
MW: Wie sollen diese Ziele erreicht werden?
Bokemeyer: Wir informieren sowohl Ärztinnen und Ärzte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Patientinnen und Patienten auf unserer Website über aktuelle Forschungsergebnisse, Veranstaltungen, Weiterbildungen und allgemeine Neuigkeiten zu den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Mit unserer Studienplattform GISG führen wir laufend Studien durch, die das Wissen um die Krankheiten mehren. Ein wichtiger Punkt unserer Aktivitäten ist auch die Fortbildung der behandelnden Ärzte und die Weiterqualifikation des Assistenzpersonals. Wir entwickeln Konzepte und Projekte, um die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern und formulieren daraus Forderungen an die Politik. In der Summe trägt all das zu einer Optimierung der Situation von Betroffenen bei.
MW: Herr Dr. Bokemeyer, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.
Kompetenznetz Darmerkrankungen.
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