Arthrose-Behandlung und Knieoperationen: „Über seine Verhältnisse zu leben, wird am Knie schnell bestraft.“
Arthrose-Behandlung ist ein zentrales Thema für Dr. med. Jürgen Toft von der Alpha-Klinik in München. Er ist mit über 25.000 Eingriffen der international erfahrenste Operateur für Kniechirurgie. Mit ihm sprach MEDIZIN-WELT über Chancen über die Chancen der Arthrose-Behandlung, Risiken von Knieoperationen und die Gründe für den Anstieg der Knieverletzungen. Wir wollten auch wissen, wie man das Knie behandeln sollte, damit es ein Leben lang seinen Dienst tut, ohne Knirschen und ohne Schmerzen.
Kniegelenkschäden und Arthrose nehmen seit Jahren zu
MEDIZIN-WELT: Gibt es eine Zunahme von Kniegelenksschäden in Deutschland in den letzten Jahren und Jahrzehnten?
Dr. Jürgen Toft: Ja, Kniegelenksschäden nehmen seit Jahren zu. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen werden die Menschen immer älter und bleiben länger aktiv. Andererseits nimmt dabei die allgemeine Fitness ab. Die Menschen bewegen sich zu wenig. Dennoch werden andererseits Leistungssportarten nachgeahmt, wie man sie durch Fernsehbilder ständig frei Haus geliefert bekommt. Viele bekommen den Eindruck, das geht anscheinend alles ganz einfach. Und wenn es dann zu Schäden am Knie kommt, wird viel zu lange gewartet, bis man einen Arzt aufsucht. Das pure Laienwissen verführt dazu, das Knie erst einmal einzureiben, Kompressen aufzulegen und Schmerztabletten zu schlucken – immer in der Erwartung: das wird schon wieder.
Die Zahl der Knieoperationen steigt - auch zur Arthrose-Behandlung
MW: Werden dadurch heute mehr Kniegelenksoperationen durchgeführt als vor zwanzig oder dreißig Jahren?
Toft: Die Zahl der Knieoperationen ist ebenfalls gestiegen. Das liegt auch daran, daß der Patient heute oft direkt den Weg zum Spezialisten wählt und sich nicht mehr langwierigen Versuchen seines Hausarztes aussetzt.
MW: Weshalb gehen Patienten mit Knieproblemen öfter direkt zum Spezialisten – und welche Vorteile bringt ihnen das?
Toft: Die Operationsmethoden für Knieoperationen sind feiner und zuverlässiger geworden, das hat sich herumgesprochen. Und die Eingriffe sind schonender. Durch die minimal-invasive Technik ohne große Schnitte haben die Menschen heute weniger Angst vor einer Knieoperation.
Die häufigsten Knieoperationen betreffen Meniskus und Kreuzband
MW: Welches sind die häufigsten Knieoperationen?
Toft: Das sind vor allem Operationen am Meniskus und am Kreuzband. Dazu kommen bei langer Fehlbelastung des Knies Behandlungen von Knorpelschäden und schließlich die Eingriffe wegen einer Arthrose-Behandlung.
MW: Wie wichtig ist es, sich frühzeitig in Behandlung zu begeben, sobald Beeinträchtigungen oder Schmerzen am Knie auftreten?
Toft: Das ist sehr oft entscheidend. Eine frühe Diagnose verbunden mit fachkundiger Behandlung des Knies kann schlimme Folgeschäden verhindern. Leider wird da oft viel verschlampt und versäumt.
MW: Gibt es „einfache“ Knieoperationen?
Toft: Nein, einfache Operationen am Knie gibt es nicht. Manche können für den geübten Operateur einfach sein, bei unerfahrenen Chirurgen kann selbst bei Meniskusoperationen eine ganze Menge schief gehen.
Die anspruchsvollste Knieoperation ist die Abrasionsarthroplastik zur Arthrose-Behandlung
MW: Welches sind Ihrer Erfahrung nach die schwierigsten Operationen am Knie?
Toft: Es ist vielleicht kaum zu glauben, aber ein „einfacher“ Innenmeniskusschaden, ein Riß am Hinterhorn bei straffen Bändern ist schwieriger als das Einsetzen einer Knie-Prothese. Sehr anspruchsvoll und diffizil ist natürlich die Abrasionsarthroplastik, die bei einer schweren Arthrose-Behandlung zur Anwendung kommt. Sie wird in Deutschland - wahrscheinlich gerade ihres Schwierigkeitsgrades wegen - kaum durchgeführt. Es handelt sich dabei um die Neuformung von Gelenkflächen durch eine Knochenauffräsung. Damit kann man zerstörte Knorpelflächen im Knie ersetzen und im günstigen Falle Arthrose behandeln und weitgehend heilen.
MW: Wann kann auch eine Operation des kaputten Knies nicht mehr helfen?
Toft: Ganz aussichtslos ist es nie, aber für den gelenkerhaltenden Eingriff ist es zu spät, wenn bereits nicht nur Knorpel, sondern auch schon sehr viel Knochenmasse im Knie verloren ist. Mit einer Knie-Prothese kann man aber selbst dann noch helfen.
MW: Was bedeutet eigentlich Arthrose?
Toft: Arthrose bedeutet den Verlust von Knorpel zwischen den Gelenkknochen des Knies. Im Endstadium fehlt der Knorpel ganz und die Knochen des Knies liegen frei und reiben bei jeder Bewegung ungeschützt aufeinander.
Eine Reihe von Sportarten belastet das Knie und trägt sehr zur Bildung von Arthrose bei
MW: Spielen sportliche Belastungen bei der Entstehung von Arthrosen eine Rolle?
Toft: Ja, vor allem, wenn das Kniegelenk zur Aufnahme von Kräften, die bei dem ausgeübten Sport entstehen, gar nicht mehr in der Lage ist. Also wenn Frühwarnzeichen ignoriert wurden. Über seine Verhältnisse leben, wird am Knie schnell bestraft.
MW: Gibt es Sportarten, die deshalb bei Knieproblemen nicht zu empfehlen sind?
Toft: Ja, Sportarten mit schnellen Stopps und Richtungswechseln, alle sogenannten "high impact"-Sportarten, wie Handball, Squash, Tennis, Skilauf, im Prinzip auch Joggen. Das sind für gesunde Gelenke alles keine Problemsportarten, aber anfällige oder vorgeschädigte Kniegelenke vertragen einen solchen Sport nicht mehr.
Radfahren, Schwimmen, Wandern und Skilanglauf sind ungefährlich für das Knie
MW: Mit welchen Sportarten ist man mit dem Knie auf der sicheren Seite?
Toft: Mit Radfahren, Schwimmen, Wandern, Skilanglauf und in Maßen auch Krafttraining.
MW: Wie kann man selbst erkennen, ob man möglicherweise Arthrose hat?
Toft: Bei beginnender oder fortgeschrittener Arthrose sind unterschiedliche Anzeichen zu spüren. Anfänglich vor allem ein Steifigkeits- und Völlegefühl im Knie nach längerem Sitzen, das Kniegelenk fühlt sich regelrecht müde an. In diesem Stadium schwillt das Knie oft auch an, vor allem nach Belastungen. Der Schmerz kommt oft erst später.
MW: Hat die medizinische Versorgung von Arthrosepatienten in den letzten Jahrzehnten Fortschritte gemacht?
Toft: Ja, es hat Fortschritte gegeben, allerdings liegt auch vieles noch immer im argen. Eine gute therapeutische Maßnahme ist die Gabe von Glukosamin und Choindroitin-Sulfat zum Einnehmen. Gelenkerhaltende Eingriffe sind in Deutschland immer noch ein Stiefkind. Das liegt zu einem nicht geringen Teil daran, daß die Medizinindustrie Prothesen verkaufen will und die Versicherungen ziemlich unkritisch mitmachen. Auch aus Unwissen und Unglauben werden viele gelenkerhaltende Maßnahmen verhindert.
Knorpelschäden bei Arthrose können behandelt und behoben werden.
MW: Heißt das, es wird zu schnell aufgegeben, wenn Arthrose diagnostiziert ist, weil unter Ärzten und Patienten die Überzeugung vorherrscht, sie sei nicht heilbar. Sie sagen aber, Arthrose sei heilbar. Wie kommen solche unterschiedlichen Auffassungen in der Medizin zustande?
Toft: Heilen in dem Sinne, daß ein betroffenes Knie nachher wieder genau so funktioniert als wäre nie etwas gewesen, das wäre ein bißchen viel verlangt. Schließlich sind diese gravierenden Schäden, die bis zur Bewegungslosigkeit des Knies gehen, über lange Zeit entstanden. Aber heilen in dem Sinne, daß die Schäden mit einem knorpelähnlichen Ersatzgewebe wieder zuheilen, das kann man erreichen.
MW: Können Knorpelschäden im Knie also tatsächlich behoben werden?
Toft: Ja, und zwar in dem Sinne, daß man sie definitiv zur Ausheilung bringen kann, und zwar dauerhaft. Es kommt zu einer Art innerer Verschorfung. Das heißt, der Knorpel wächst nicht von unten nach, sondern entsteht an Ort und Stelle. Das dabei aufgebaute Gewebe hat eine weiße Färbung. Während Verschorfungen bei Kontakt mit Luftsauerstoff üblicherweise braun sind und außerdem auch abgestoßen werden. Das ist hier nicht der Fall. Das entstehende Gewebe ist haltbar.
MW: Kann man zerstörten Knorpel auch ersetzen?
Toft: Ja, das ist mit einer Knorpelzelltransplantation zu erreichen, neuerdings sogar mit oder auch ohne Matrix, d.h. mit oder ohne Trägersubstanz. Die neueste Entwicklung sind Sphäroide, die in die Knorpelwunde gespritzt werden und die nach 20 Minuten halbfest sind. Das ist eine sehr vielversprechende Entwicklung, die sich aber im Moment nur für die Behebung kleinerer Defekte eignet. Für eine Arthrosebehandlung ist die Methode nicht geeignet.
„97 Prozent unserer Arthrosebehandlungen sind erfolgreich.“
MW: Wie oft kommt es vor, daß die von Ihnen geschilderte anspruchsvolle Arthrose-Behandlung einer Korrektur doch nicht klappt und der Patient am Schluß doch eine Endoprothese, also ein künstliches Kniegelenk braucht?
Toft: Das kommt in unserer Klinik in etwa drei Prozent der Fälle der Arthrose-Behandlung vor – also 97 Prozent aller solcher Behandlungen sind erfolgreich.
MW: Sind Arthrosebehandlungen durch Operation wegen der drohenden Infektionsgefahr im Kniegelenk nicht höchst gefährlich?
Toft: Die letzte Gelenkinfektion hatten wir im Jahr 1987, seither keine einzige mehr. Eine solche Infektion ist eine Katastrophe für das Gelenk und sollte unter allen Umständen vermieden werden. Durch den Einsatz modernster Medizintechnik, strengster Hygiene und durch einen schnellen und versierten Operateur läßt sie sich fast immer vermeiden.
Warum viele Patienten von moderner Arthrose-Behandlung zu wenig wissen
MW: Wer hat die modernen Methoden der Arthrosebehandlung entwickelt?
Toft: Die Knorpelzelltransplantation wurde von Prof. Peterson aus Schweden entwickelt. Die Abrasionstechnik stammt von Prof. Johnson aus den USA. Von ihm habe ich sie erlernt und weiterentwickelt. Inzwischen kann ich sagen, daß ich damit weltweit die größte Erfahrung habe. Insgesamt wurden von mir mit dieser Technik etwa. 5.000 Fälle erfolgreich behandelt.
MW: Was ist eigentlich eine Bioprothese, von der im Zusammenhang mit moderner Arthrose-Behandlung auch immer wieder die Rede ist?
Toft: Eine Bioprothese ist das Resultat des Nachwachsens der Ersatzknorpelflächen in Folge einer Abrasion. Bio deshalb, weil es sich um körpereigenes Gewebe handelt. Prothese, weil ja dennoch etwas ersetzt wird, was es zuvor nicht mehr gegeben hat – nämlich den Knorpel.
MW: Weshalb erfahren viele Patienten gar nicht oder zu spät von den Möglichkeiten der modernen Arthrose-Behandlung?
Toft: Das liegt an allen möglichen Behinderungen. Die lieben Kollegen verhindern das Bekanntwerden, weil sie es nicht selbst durchführen können. Die Versicherungen mauern, weil sie den lieben Kollegen glauben, die ihnen sagen, das geht nicht. Die Industrie ist auch an einer Informationsunterdrückung interessiert, weil sie mit gelenkerhaltenden Operationen kein Geld verdienen kann. Aber auch die Patienten tragen dazu bei, weil sie nämlich nicht die richtigen Fragen stellen.
MW: Wird die Qualität von solchen komplexen Operationen eigentlich nicht kontrolliert und dokumentiert, so daß sich auf diesem Weg Informationen verbreiten würden?
Im hohen Alter sind künstliche Kniegelenke eine Alternative
Toft: Anders als in anderen Berufen wird in der Medizin bis zum heutigen Tag nichts kontrolliert. Das hält man für nicht standesgemäß. Natürlich ist das ein Schmarrn. Bei allen möglichen Bagatellen fühlt sich der Gesetzgeber bemüßigt, durch Vorschriften einzugreifen, hier geschieht nichts. Aber das ist eben ein uralter Zopf, den bislang keiner gewagt hat abzuschneiden.
MW: Sind künstliche Kniegelenke eine gute Alternative gegenüber den langwierigen Behandlungen der knieerhaltenden Operation?
Toft: Im hohen Alter ja. Aber auch bei Patienten mit über 80 Jahren kann man unsere Methode noch erfolgreich durchführen und viele alte Patienten wünschen sich das auch. Aber verantworten kann man eine Prothese in dem Alter natürlich schon.
MW: Wie viele Knieoperationen haben Sie schon durchgeführt?
Toft: Insgesamt über 25.000.
MW: Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.
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